Fehlerhaftes Arbeitsverhältnis
Wie jedes Rechtsgeschäft kann auch der Arbeitsvertrag an Mängeln leiden. Einige Mängel führen dabei zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages. Haben sich die Parteien bei Abschluss des Vertrages in einem wesentlichen Punkt geirrt oder wurden getäuscht, kommt im Einzelfall auch eine Anfechtung des Vertrages in Betracht. Dabei sind die Rechtsfolgen, die sich an die Unwirksamkeit des Vertrages anknüpfen, eingeschränkt, sofern das Arbeitsverhältnis bereits in Vollzug gesetzt war.
1. Nichtigkeit des Arbeitsvertrags
Die wesentlichen Gründe für die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags ergeben sich bereits aus dem, was im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages erläutert wurde. Demnach kann ein Arbeitsvertrag nichtig sein, falls es bei Abschluss des Vertrages an der Geschäftsfähigkeit einer Vertragspartei mangelte (§§ 104, 105 BGB), eine konstitutive Formvorschrift nicht eingehalten wurde (§ 125 S. 1 BGB) oder wenn der Arbeitsvertrag als solcher gegen ein Verbotsgesetz oder die guten Sitten verstößt (§§ 134, 138 BGB).
2. Anfechtung des Arbeitsvertrags
Zudem kann ein Arbeitsvertrag auch von beiden Parteien angefochten werden. Eine Anfechtung ist die Erklärung gegenüber dem Vertragspartner, der Arbeitsvertrag solle nicht mehr bestehen. Dies setzt voraus, dass
- ein Anfechtungsgrund besteht (§§ 119, 120, 123 BGB)
- der Anfechtungsberechtigte innerhalb der richtigen Anfechtungsfrist (§§ 123, 124 BGB)
- eine Anfechtungserklärung abgibt (§ 143 BGB) und
- die Anfechtung nicht ausgeschlossen ist.
Als Anfechtungsgründe kommen mehrere Konstellationen in Betracht. Die Anfechtung ist in der Regel zulässig, wenn
- ein Irrtum eines Vertragspartners über den Inhalt der vertraglichen Erklärung (§ 119 Abs. 1 BGB) oder
- ein Irrtum über Eigenschaften in der Person des Vertragspartners vorliegt (§ 119 Abs. 2 BGB) oder
- wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB).
Die Anfechtung ist von der Kündigung zu unterscheiden. Beides sind Gestaltungsrechte, die nebeneinander bestehen. Anfechtung und Kündigung sind an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. So bleiben bei der Anfechtung Aspekte des Kündigungsschutzes gänzlich außer Betracht, und es muss auch der Betriebsrat nicht angehört werden.
(1) Anfechtung wegen Irrtums
Ein Anfechtungsgrund ist die Anfechtung wegen Irrtums.
a. Vorliegen eines Irrtums
Eine Anfechtung wegen eines Irrtums über den Inhalt der vertraglichen Erklärung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein Vertragspartner sich verschrieben hat oder bei Vertragsschluss ein begriffliches Missverständnis vorlag. Dabei muss anzunehmen sein, dass der anfechtende Vertragspartner die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben hätte (§ 119 Abs. 1 BGB).
In der Praxis wichtig ist der Irrtum über wesentliche Eigenschaften in der Person Anfechtungsgrund ist auch ein Irrtum über die Eigenschaften des Vertragspartners (§ 119 Abs. 2 BGB). Eine solche Eigenschaft liegt aber in der Regel nur dann vor, wenn sie den Arbeitnehmer für die vorgesehene Stelle oder den Arbeitgeber als Vertragspartner objektiv ungeeignet erscheinen lassen.
b. Anfechtungsfrist
Nach § 121 Abs. 1 BGB muss der Anfechtungsberechtigte nach Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund „ohne schuldhaftes Zögern“ anfechten.
(2) Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung
Als weiterer Anfechtungsgrund kommt sowohl eine Täuschung aber auch eine Drohung durch den Vertragspartner in Betracht.
a. Vorliegen einer Täuschung oder Drohung
Der wichtigste Anwendungsfall der Anfechtung im Bereich des Arbeitsvertrages ist die Anfechtung durch den Arbeitgeber aufgrund arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 1. Fall BGB):
Sie kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer auf zulässige Fragen des Arbeitgebers vorsätzlich, also bewusst und gewollt, unwahr geantwortet hat. Verschweigt der Arbeitnehmer hingegen bewusst eine Tatsache, stellt dies nur dann eine arglistige Täuschung dar, wenn diesbezüglich eine Aufklärungs-/Offenbarungspflicht bestand (vgl. oben 2.1.2.3.1. und 2.1.2.3.2.).
Eine Anfechtung wegen Drohung (§ 123 Abs. 1 2. Fall BGB) kommt in der Praxis sehr selten vor. Sie ist dann wirksam, wenn ein Arbeitsvertrag durch Drohung zustande gekommen ist.
b. Anfechtungsfrist
Bei einer Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB gilt eine Anfechtungsfrist von einem Jahr nach Entdeckung der Täuschung oder nach Beendigung der durch Drohung herbeigeführten Zwangslage (§ 124 Abs. 1 BGB).
3. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit
Hat ein Mangel des Arbeitsvertrages dessen Nichtigkeit zur Folge, ist der Vertrag grundsätzlich von Anfang an („ex tunc“) unwirksam. Dasselbe gilt, wenn ein Arbeitsvertrag angefochten wird (§ 142 Abs. 1 BGB). Dies gilt aber nur, solange das Arbeitsverhältnis noch nicht in Vollzug gesetzt wurde, d.h. solange der Arbeitnehmer noch nicht begonnen hat zu arbeiten. Hat der Arbeitgeber in diesem Fall bereits Leistungen gewährt, zum Beispiel einen Vorschuss gezahlt, steht ihm ein Rückgewährungsanspruch gegen den Arbeitnehmer zu.
Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit bereits aufgenommen hatte, als die Parteien von der Nichtigkeit des Vertrages Kenntnis erlangt bzw. angefochten haben. Die Rückabwicklung eines Arbeitsvertrags ist problematisch, da hierdurch der Arbeitnehmerschutz beeinträchtigt werden könnte. Deshalb hat man die sog. Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis entwickelt. Demnach wird der nichtige oder angefochtene Arbeitsvertrag für die Vergangenheit so behandelt, als wäre er fehlerfrei zustande gekommen (d.h. es besteht für diese Zeit u.a. eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers). Für die Zukunft kann sich jedoch jede Partei zu jeder Zeit durch einseitige Erklärung („Lossagung“) von dem fehlerhaften Arbeitsvertrag lösen.
Wurde der Arbeitsvertrag wegen einer arglistige Täuschung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber angefochten, obwohl er bereits vollzogen worden ist, ist das Arbeitsverhältnis zwar grundsätzlich für die Zukunft aufzulösen (s.o.), jedoch mit der Besonderheit, dass in den Zeiten, in denen der Vertrag von Seiten des Arbeitnehmers z.B. wegen Krankheit nicht erfüllt worden ist, keine Leistungen des Arbeitgebers erbracht werden müssen. Der Arbeitnehmer ist in diesen Fällen nicht schutzwürdig, da er seinen Vertragspartner getäuscht hat, und kann sich daher nicht auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses verlassen. Dann gilt weiterhin das Prinzip „ohne Arbeit kein Lohn“ (BAG v. 03.12.98 – 2 AZR 754/97).