Anspruch auf Tariflohnerhöhung nach Betriebsübergang
EuGH, Urteil vom 27.04.2017, C-680/15 und C-681/15
Der EuGH hat nunmehr die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, wonach arbeitsvertragliche Verweisungen auf Tariflohnerhöhungen (sog. dynamische Bezugnahmeklauseln) auch noch nach einem Betriebsübergang weitergelten.
Hintergrund:
In den Jahren 2005 und 2007 hatte das BAG zwei damals für Aufsehen erregende Entscheidungen gefällt, in denen es die bisherige Rechtsprechung zu arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln grundlegend änderte. Bis zum diesem Zeitpunkt galt, dass eine Klausel in einem Arbeitsvertrag, in der es hieß, dass ein bestimmter Tarifvertrag „in seiner jeweils gültigen Verfassung“ zur Anwendung gelangt (sog. dynamische Bezugnahmeklausel), sich in eine statische Bezugnahmeklausel wandelt, wenn es zu einem Betriebsübergang kommt. Dies bedeutete, dass damals ein Betriebserwerber, der selbst nicht an den Tarifvertrag gebunden war, auch keine Tariflohnerhöhungen an die übergangenen Arbeitnehmer weitergeben musste.
Dies änderte das BAG in seinen Entscheidungen aus 2005 und 2007: Künftig galt, dass bei Verträgen, die ab dem 01.01.2003 abgeschlossen worden waren, die dynamische Bezugnahme auch nach einem Betriebsübergang erhalten blieb. Auch ein Betriebserwerber, der nicht tarifgebunden war, musste den betroffenen Arbeitnehmern somit Tariflohnerhöhungen gewähren. Im Jahr 2013 kam es jedoch zu einer Entscheidung des EuGHs zu einem ähnlichen Fall aus England, die diese neue Rechtsprechung des BAG grundlegend in Frage stellte. Als dem BAG zwei neue Fälle zu diesem Thema vorlagen, richtete es daher eine Vorlagefrage an den EuGH, ob seine neue Rechtsprechung mit EU-Recht vereinbar ist.
Die Fälle:
Der EuGH hatte über zwei Fälle zu entscheiden, in denen Arbeitnehmer eines ursprünglichen kommunalen Krankenhauses von einer privaten Trägergesellschaft im Wege eines Betriebsübergangs übernommen worden waren. In ihren Arbeitsverträgen war jeweils vereinbart, dass der für den öffentlichen Dienst geltende Manteltarifvertrag für Arbeitgebergemeindliche Verwaltungen und Betriebe in seiner jeweiligen Fassung zur Anwendung gelangt. Die Verträge wurden zwar vor dem Jahr 2002 abgeschlossen und unterlagen somit noch nicht der neuen seit 2007 bestehenden Rechtsprechung, allerdings war der Erwerber tarifgebunden, sodass die Arbeitnehmer auch danach noch Tariflohnerhöhungen erhielten. Zwei Jahre später kam es dann zu einem Betriebsteilübergang, von dem die beiden Arbeitnehmer erneut betroffen waren.
Zwar war nun der Betriebserwerber nicht mehr im Arbeitgeberverband und damit auch nicht tarifgebunden, allerdings hatte der neue Arbeitgeber mit seinem Betriebsrat einen sog. Personalüberleitungsvertrag (eine Betriebsvereinbarung) abgeschlossen, wonach die übergehenden Arbeitnehmer weiterhin die dynamische Bezugnahme behielten und somit weiterhin Tariflohnerhöhungen beanspruchen konnten. Diese Vereinbarung wurde Teil der Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer. Schließlich kam es jedoch zu einem dritten Betriebsübergang, nachdem der jetzige Betriebserwerber sich weigerte, die Bezugnahme auf den Tarifvertrag dynamisch anzuwenden, und somit auch keine Tariflohnerhöhungen mehr gewährte. Die Arbeitnehmer erhoben daraufhin Klage zum Arbeitsgericht mit dem Ziel der Feststellung, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag weiterhin dynamisch zur Anwendung käme.
Die Entscheidung:
Das Arbeitsgericht und das LAG gaben den Arbeitnehmern Recht. Das BAG wollte dies bestätigen, setzte jedoch das Revisionsverfahren zunächst aus, um die Frage dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Dabei wies das BAG den EuGH auch auf die wesentlichen Unterschiede zu dem im Jahr 2013 entschiedenen Fall aus England hin. Der EuGH-Generalanwalt folgte jedoch nicht der Auffassung des BAG und empfahl dem EuGH die Frage des BAG dahingehend zu beantworten, dass die Rechtsprechung des BAG europarechtswidrig sei und die dynamische Bezugnahme – entsprechend der alten Rechtsprechung des BAG – nicht erhalten bleibe.
Der EuGH entschied jedoch anders. In einer äußert kurzen Urteilsbegründung bestätigte er die Rechtsprechung des BAG und wies, wie zuvor das BAG schon, darauf hin, dass in diesem Fall – anders als in dem Fall aus England – der Betriebserwerber auch noch nach dem Betriebsübergang Anpassungen vornehmen könne und die dynamische Bezugnahme, d.h. die Pflicht zur Weitergabe von Tariflohnerhöhungen, beispielsweise durch eine Änderungskündigung beenden könne. Die aktuelle Rechtsprechung des BAG gilt somit weiterhin.